Kirchenbänke

„Nicht Sekte, sondern Sauerteig sein“ – Erkenntnisse aus der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung

Bei der diesjährigen digitalen Frühjahrsfortbildung des Bundesverbandes Katholische Kirche an Hochschulen am 27. März führte Referent Dr. Tobias Kläden von der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) mit seinem Vortrag „Zwischen Erosion und Relevanz“ in die Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) ein. Er zeigte ein ambivalentes Bild mit einer deutlichen Entkirchlichung und multiplen Krisen der Kirchen auf. Jedoch werden weiterhin hohe gesellschaftliche Erwartungen an die Kirchen gestellt. Der Beitrag der Kirche als zivilgesellschaftliche Akteurin werde nach wie vor anerkannt. Ebenso leisteten Kirchen vor Ort vielfach gute Arbeit, wenn auch für einen immer kleiner werdenden Teil der Gesellschaft.

Seit 1972 führt die Evangelische Kirche in Deutschland regelmäßig Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen als repräsentative Befragungen zu Einstellungen im Bereich von Religion und Kirche durch. Erstmals beteiligte sich auch die katholische Kirche an dieser Untersuchung, sodass nun auch Ergebnisse zu Einstellungen katholsicher Kirchenmitglieder in der Bundesrepublik vorliegen. In der Studie wurden insgesamt 5.282 Personen repräsentativ für die Gesamtbevölkerung befragt. Zeitpunkt der Durchführung der Studie war Oktober bis Dezember 2022.

Rückgang von Religiosität und Kirchlichkeit

Insgesamt stellt die Studie fest, dass nicht nur die Kirchlichkeit, sondern die Religiosität allgemein in Deutschland rückläufig ist. Zum Zeitpunkt der Erhebung waren noch knapp mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. Indessen verorten sich nur noch 13 Prozent der Befragten selbst als „kirchlich-religiös“ und bereits 56 Prozent bezeichnen sich als „säkular“. Nur noch 19 Prozent geben an, an einen Gott zu glauben, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat, während der Glauben an ein Leben nach dem Tod seit 30 Jahren relativ konstant bleibt und nur langsam zurückgeht.

Die Zahlen belegen zudem, dass sich die Kirchen „multiplen Krisen und hohen Reformerwartungen“ ausgesetzt sehen, während konfessionelle Profile zunehmend verschwinden. Insgesamt fühlen sich nur noch 40 Prozent der befragten Katholik*innen ihrer Kirche verbunden, wobei der weit überwiegende Teil auch dieser Gruppe vielen Dingen in ihrer Kirche kritisch gegenübersteht. Alarmierend ist der Vertrauensverlust in die katholische Kirche. Selbst unter Katholik*innen ist das Vertrauen in die evangelische Kirche höher als in die eigene Kirche! Es zeigt sich eine geradezu historische Verschlechterung. Vertrauten im Jahr 1984 immerhin noch 61,7 Prozent der katholischen Bevölkerung ihrer Kirche, lag der Wert 2022 nur noch bei 21,5 Prozent. Das Vertrauen der Gesamtbevölkerung in die katholische Kirche liegt mit neun Prozent sogar im einstelligen Prozentbereich. Auch die Frage nach einem möglichen Kirchenaustritt stimmt bedenklich. Nur 27 Prozent der Katholik*innen schließen noch grundsätzlich aus, aus ihrer Kirche auszutreten.

Weiterhin hohe Erwartungen an die Kirche

Demgegenüber verwundert es fast, dass weiterhin hohe Erwartungen an die Kirchen gestellt werden. Ebenso haben sie weiterhin eine hohe soziale – wenn auch nicht mehr religiöse – Reichweite in die Gesellschaft hinein. Eine deutliche Mehrheit der Katholik*innen erwartet von ihrer Kirche zudem grundlegende Veränderungen, mehr Entscheidungsbefugnis für Ehrenamtliche und mehr Engagement im sozialen Leben vor Ort, statt sich auf Gottesdienste zu konzentrieren.

Zu den wichtigsten Reformforderungen einer überwältigenden Mehrheit von jeweils mehr als 80 Prozent der Katholik*innen gehört die Möglichkeit für Priester zu heiraten, mehr ökumenische Zusammenarbeit, demokratischere Führungsstrukturen und die Segnung homosexueller Partnerschaften. Hinzu kommt die Forderung Beratungsstellen für Menschen mit Lebensproblemen zu betreiben.

Werte zur Bekanntheit des in der Kirche tätigen Personals stimmen demgegenüber positiv. So hatten 60 Prozent der katholischen Befragten im letzten Jahr noch Kontakt zu einer Person, die für die Kirche tätig war. Das ehrenamtliche Engagement von kirchlich gebundenen Personen ist statistisch höher als von säkularen, was jedoch auch an den Gelegenheitsstrukturen im kirchlich-religiösen Umfeld liegen kann.

„Nicht Sekte, sondern Sauerteig sein“: Konsequenzen für die Hochschulpastoral

Nach der Diskussion dieser Untersuchungsergebnisse haben die Teilnehmenden der Fortbildung über Konsequenzen für die Hochschulpastoral beraten. Auch hier hatte Dr. Kläden einige Thesen vorbereitet.

Zunächst deuten die empirischen Daten mit dem Rückgang der Religiosität daraufhin, dass man für kirchliches Handeln an Hochschulen nicht (!) davon ausgehen könne, dass Religiosität im Rahner‘schen Sinne eine anthropologische Konstante und ein Grundbedürfnis des Menschen sei. Vielmehr müssten sich auch hochschulpastorale Akteure drüber verständigen, ob Religiosität nicht doch ein kulturelles Phänomen sei, dass potenziell auch gänzlich vom Campus verschwinden könnte.

Ging die Hochschulpastoral lange davon aus, dass der Mensch von Natur aus religiös sei und dass das pastorale Angebot nur passgenau optimiert werden müsse, um die dauerhaft vorhandenen religiösen „Bedürfnisse“ zu wecken, deuten die verstärkten Säkularisierungsprozesse in eine andere Richtung. Parallel zur Säkularisierung sei aber auch eine Transformation im religiösen Feld zu beobachten, sodass eine Weiterentwicklung der pastoralen Angebote weiterhin notwendig bleibe.

Diese Ergebnisse können jedoch auch entlasten. Die vielfachen und langanhalten Erosionsprozesse der Kirchen bringen zwar ein großes Frustrationspotential mit sich. Die KMU Ergebnisse machen aber deutlich, dass ein Rückgang der ehrenamtlich Engagierten in der Hochschulpastoral keinen kausalen Zusammenhang mit der pastoralen Qualität haben muss. Im Gegenteil findet vor Ort vielfach gute und effektive Arbeit – jedoch für eine kleiner werdenden Gruppe – statt. Dieser Befund rief in der Diskussion gerade in Zeiten sinkender Kirchensteuereinnahmen und struktureller Veränderungen in den Bistümern die Frage nach der Messbarkeit von pastoralem Erfolg und der Möglichkeit von qualitativen Evaluationen pastoralen Handels hervor. Der Blick auf reine Zahlen kirchlich-religiöser Praxis schien allen Beteiligten unzureichend für eine Handlungsanalyse.

Die hohe soziale Reichweite, die die Kirche weiterhin hat, biete auch eine Chance für hochschulpastorales Handeln im diakonischen Bereich. Gerade im sozialen und solidarischen Handeln kann sie weiterhin größere Gruppen ansprechen, was jedoch, wie die Zahlen zeigen, keine religiöse Reichweite zur Folge habe. Es ist daher zu konstatieren, dass die Nachfrage des religiösen Markenkerns empirisch immer weiter abnimmt. Aufgrund des eigenen Sendungsauftrags der Hochschulpastoral muss dieser jedoch weiter präsent bleiben.

Die Thesen Klädens gipfelten in der Erkenntnis, dass sich die Trends auch an den Hochschulen nicht aufhalten lassen, sodass sich die Frage stelle: „Welche Minderheit wollen wir werden?“ Die gesamtgesellschaftliche religiöse Indifferenz und teilweise Ablehnung von Religion zeige sich auch an Hochschulen. Diese Situation gilt es ehrlich wahrzunehmen und aktiv darauf zu reagieren. Hier sei sowohl ein exklusives Verharren einer kleiner werdenden Gruppe denkbar, ebenso aber auch eine inklusive Mitarbeit an den Hochschulen in den verschiedenen Bereichen.

In der abschließenden Diskussion wurde der Vorschlag einer inklusiven Hochschulpastoral mit dem biblischen Bild des Sauerteigs verglichen, der sowohl versuche auf die Erwartungen der Studierenden einzugehen als auch die Gottesfrage trotz sinkender Nachfrage weiter wachzuhalten. Gerade die pastorale Begleitung von Studierenden ohne konfessionelle Sozialisation werde in Zukunft weiter zunehmen.

Bericht: Michael Neumann

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